Ein Motto für den Wahlkampf eint alle Parteien abseits der FPÖ. Es ist simpel, eingängig und lautet in leichten Abwandlungen in etwa so: Herbert Kickl muss als Kanzler verhindert werden. Dabei stellt sich die Frage, wie gut die Chancen für den freiheitlichen Frontmann überhaupt stehen, ins Kanzleramt einzuziehen. Denkbar wäre schließlich bloß eine Regierungszusammenarbeit mit der ÖVP.

Die anderen Parteien warnen jedenfalls schon jetzt vor einer Koalition zwischen FPÖ und ÖVP. Verhältnismäßig zurückhaltend sind dabei die Neos. Kickl wird zwar auch von den Liberalen als Gefahr für die Demokratie bezeichnet, gleichzeitig herrscht bei den Pinken die Sorge, eine offene "Alle gegen Kickl"-Mentalität könne die FPÖ gar noch stärken. Andreas Babler und seine Strategieabteilung haben da weniger Scheu: Die potenzielle "Verhinderung" einer Koalition zwischen FPÖ und ÖVP soll eines der zentralen Wahlversprechen der SPÖ sein. Die Lösung der Sozialdemokraten lautet wenig überraschend: Rot wählen, um die blau-schwarze Mehrheit erst gar nicht möglich zu machen. Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler sagt: "Die FPÖ ist der parlamentarische Arm des Rechtsextremismus." Und auch für viele Grüne steht fest: Blau-Schwarz, das wäre der Anfang vom Ende.

Aber: Wie realistisch ist es, dass FPÖ und ÖVP nach der Wahl zusammenfinden? Schließlich beteuern auch von Kanzler Karl Nehammer abwärts fast alle gewichtigen Vertreterinnen und Vertreter der Volkspartei, dass mit Kickl kein Staat zu machen sei. Eine Koalition mit ihm wird ausgeschlossen.

Was müsste also passieren, damit Blau-Schwarz oder Schwarz-Blau Realität würde? Vier Szenarien.

Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Parteichef Herbert Kickl (FPÖ) kann sich kaum jemand als Koalitionspartner vorstellen.
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Szenario 1: Kickl weicht von selbst

Es ist ein Szenario, das im politischen Betrieb derzeit viel besprochen wird: Nach der erfolgreich geschlagenen Wahl, nachdem die FPÖ Erste wurde, könnte Kickl freiwillig zur Seite rücken, um einer Koalition mit der ÖVP nicht im Weg zu stehen. Kickl könne Nationalratspräsident werden oder Klubchef bleiben und einer anderen Person den Vortritt lassen – wie einst Jörg Haider im Jahr 2000, der damals meinte: "Susanne, geh du voran." Gemeint war Susanne Riess, eine Vertraute des schwer umstrittenen Politikers Haider, die er in die schwarz-blaue Koalition beförderte. Heute wird rund um Nehammer mit einem ähnlichen Gedanken spekuliert. Der ÖVP-Chef und Kanzler ist in seiner Ansage eindeutig: Einer Koalition mit der FPÖ steht vor allem die Person Kickl im Weg.

Das Interessante an dieser Erzählung ist: Sie ist vor allem von ÖVP-Politikern zu hören – in der FPÖ geht davon jedoch eigentlich niemand aus. Ganz im Gegenteil. Dass Kickl einen anderen Blauen an seiner Stelle ins Kanzleramt ziehen lassen würde, hält bei den Freiheitlichen kaum jemand für denkbar. "Völlig ausgeschlossen", ist mehrfach zu hören. Und jene, die es für möglich halten, meinen, dass es "realpolitisch nicht umsetzbar" wäre, etwa weil es keine Alternative zu Kickl gibt. "Haiders Fehler zu wiederholen wäre fatal, das wird man nie wieder machen", formuliert es ein Blauer, der sich an die Geschehnisse von einst noch gut erinnern kann. Diese Variante sei "in der Partei schwer verpönt", ein anderer.

Hinzu kommt, dass es bei der FPÖ einigen gegen den Strich gehen würde, wenn man auf Zuruf anderer Parteien wie der ÖVP von Kickl abrücken würde: "Wir lassen uns mit Sicherheit nicht von anderen Parteien diktieren, wen wir ins Kanzleramt schicken", formulieren es so oder so ähnlich mehrere Freiheitliche. Dass Kickl weichen könnte, ist also vor allem ein Wunschszenario politischer Gegner – zumindest aktuell.

Szenario 2: Kickl wird von Partei zur Seite geputscht

Die FPÖ liegt mit Kickl in Umfragen seit mehr als einem Jahr auf Platz eins. In jeder einzelnen. Das hat ihm innerhalb der FPÖ zu enormer Macht verholfen und hält seine Kritiker in Zaum. Die Freiheitlichen treten seit vielen Monaten geschlossen auf, Konflikte dringen nur in seltenen Ausnahmefällen nach außen. Nichts eint eine Partei so sehr wie die Aussicht auf einen Wahlsieg. Wenig überraschend ist daher aus der FPÖ zu hören: Eine Regierungsbeteiligung der FPÖ gibt es "nur mit Herbert".

Kaum jemand, so scheint es, ist bereit, Kickl für das Kanzleramt zu opfern. "Völlig undenkbar" sei das, sagt einer, der dem Parteichef durchaus kritisch gegenübersteht: "Ob man ihn nun mag oder nicht, keiner von uns würde ihn opfern, nur um mitregieren zu dürfen." Ein anderer hochrangiger Blauer bezeichnet das Szenario, mit Kickl in eine Wahl zu ziehen, diese zu gewinnen und ihn dann abzuziehen, für "glatten Wählerbetrug".

Ein Freiheitlicher skizziert dennoch ein Szenario, in dem Kickl parteiintern unter Druck geraten könnte, um doch einen Schritt zur Seite zu machen. Nämlich dann, wenn sich etwa die blauen Verstrickungen in die Spionageaffäre auswachsen oder Kickl die Causa Ideenschmiede – der Parteichef war einst an der Werbeagentur, die später in Korruptionsskandale verwickelt war, beteiligt – einholt. Sollte sich davon etwas in den Umfragen und letztlich im Wahlergebnis niederschlagen und die FPÖ nicht mit klarem Abstand als Erste durchs Ziel gehen, dann sei Kickl "alles andere als gesetzt". Denn in der Partei würde man sich "nur so lange geschlossen hinter dem eigenen Obmann versammeln, solange dieser auch den Erfolg bringt".

Szenario 3: ÖVP vollzieht einen Meinungsschwenk

Viele Rote, Pinke und Grüne sind überzeugt: Die ÖVP blufft. "Sobald die Blau-Schwarzen auch nur mit einer Stimme die Mehrheit haben, werden sie eine Regierung machen", sagt SPÖ-Chef Babler. In der ÖVP gibt es jedenfalls viele Funktionärinnen und Funktionäre, die sich eine Koalition mit der FPÖ wünschen und in dieser Konstellation die besten Chancen sehen, eigene Anliegen umsetzen zu können. Es gibt auch einen Flügel, der selbst mit einem Kanzler Kickl leben könnte – dazu zählen aber nicht Nehammer und seine Vertrauten. Auch in der ÖVP geht kaum jemand davon aus, dass der Regierungschef von seinem Nein zu Kickl abrücken würde.

Ein zumindest denkbares Szenario wäre, dass Nehammer – insbesondere wenn die ÖVP tatsächlich auf dem dritten Platz landen würde – zurücktritt und den Weg für eine neue Parteispitze freimacht. Vorstellbar ist auch, dass danach ein Parteichef oder eine Parteichefin übernehmen würde, der oder die mit Kickl koalieren würde. Allerdings fehlt den meisten in der Volkspartei die Kreativität, wer dafür infrage käme. Als potenzielle Nachfolgekandidaten Nehammers werden häufig Finanzminister Magnus Brunner und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler genannt. Die gelten jedoch auch beide nicht als Befürworter einer blau-schwarzen Koalition unter der Führung Kickls.

Bei den Freiheitlichen wiederum gibt es welche, die überhaupt keine Zweifel daran haben, dass die Volkspartei nach der Wahl einen Meinungsschwenk vollziehen wird. Schließlich hätten auch die schwarzen Parteispitzen in Niederösterreich und Salzburg im Vorfeld der Landtagswahlen eine Koalition mit der FPÖ ausgeschlossen und letztendlich doch einen schwarz-blauen Pakt geschlossen. Es sind jene, die davon überzeugt sind, dass es im Bund nicht anders laufen würde.

Andere verweisen darauf, dass die FPÖ in jenen Ländern, in denen sie mit der ÖVP reagiert, jeweils der Juniorpartner ist – im Bund wären die Vorzeichen wohl umgekehrt. Ein hochrangiger Freiheitlicher, der Regierungserfahrung mit der ÖVP auf Landesebene hat, glaubt nicht daran, dass die Volkspartei im Bund den kleineren Koalitionspartner geben würde. Andere wiederum rechnen damit, dass es nach der Wahl ohnehin nur noch darum gehen werde, Kickl vom Kanzlersessel fernzuhalten, und sich die "Einheitspartei" zu einer Koalition zusammenfinden werde. Viele sehen außerdem bereits eine Neuauflage einer Koalition zwischen SPÖ und ÖVP mit einem dritten Bündnispartner am Horizont: "Wir werden in einer Koalitionsverhandlung keine Rolle spielen, der Zug ist abgefahren", sagt ein Blauer.

Szenario 4: Die FPÖ wird gar nicht Erste

Die Wahlen in Innsbruck und Salzburg haben wieder gezeigt: Umfragen sind mit Vorsicht zu genießen. Dass die Freiheitlichen in Salzburg nur leicht dazugewinnen und in Innsbruck sogar verlieren würden, hatte niemand prognostiziert. Ganz im Gegenteil: Gerade in Innsbruck wurde mit einem blauen Erfolg gerechnet.

Lange Zeit hatte die FPÖ in Umfragen in der Regel schlechter abgeschnitten als bei Wahlen – das könnte sich gerade ändern. Politikbeobachter gehen davon aus, dass die Bereitschaft in der Bevölkerung, in Umfragen anzugeben, die FPÖ zu wählen, deutlich gestiegen ist und es dadurch zu einer sogenannten Überdeklaration kommt. Gut möglich also, dass die FPÖ auch bei der Nationalratswahl an der Wahlurne nicht ganz so gut abschneiden wird wie vorhergesagt.

Das bereitet auch einigen in der FPÖ Sorgen. Aktuell müssen die Freiheitlichen zwar nicht um Platz eins zittern – sie stehen in den Umfragen unangefochten und mit deutlichem Abstand zu SPÖ und ÖVP an erster Stelle. Sollte Sozialdemokraten oder Volkspartei in den nächsten Monaten die Aufholjagd gelingen, ist aber rasch wieder alles offen.

Was also, wenn die FPÖ ohnehin nur Zweite würde? In jenem Szenario, in dem die SPÖ die Wahl gewinnt, wäre eine Koalition zwischen ÖVP und FPÖ wohl endgültig vom Tisch. Sollte hingegen die ÖVP auf Platz eins landen, ist eine schwarz-blaue Zusammenarbeit eine recht wahrscheinliche Variante. Es ist zwar eine Annäherung zwischen ÖVP und SPÖ zu beobachten – in Teilen beider Parteien besteht der Wunsch, nach der kommenden Wahl die große Koalition wiederzubeleben. Das Problem ist allerdings, dass Rote und Schwarze zumindest in aktuellen Umfragen gar keine gemeinsame Mehrheit hätten und somit auf einen dritten Partner angewiesen wären.

Hätte die ÖVP gleichzeitig die Möglichkeit, stattdessen eine Zweiervariante mit der FPÖ einzugehen und dabei auch noch den Kanzler zu stellen, könnte Schwarz-Blau rasch Realität werden. In den Umfragen zeichnet sich diese Variante aktuell allerdings überhaupt nicht ab. (Katharina Mittelstaedt, Sandra Schieder, 25.4.2024)