Menschen und Hunde verbindet eine außergewöhnliche Geschichte. Lange bevor unsere Vorfahren sesshaft wurden und die Landwirtschaft erfanden, kamen sie auf den Hund – besser gesagt zunächst auf den Wolf. Jahrtausendelang kooperierten Menschen und Wölfe, bis aus wilden Wölfen zahme Hunde wurden. Wann und wie genau sich die Domestizierung abspielte, wirft bis heute Fragen auf. Das Ergebnis war jedenfalls folgenreich. Für den Verhaltensbiologen und Wolfsforscher Kurt Kotrschal zählt die Partnerschaft unserer Vorfahren mit Wölfen und Hunden zu den größten Innovationen der Menschheitsgeschichte.

Kotrschal beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit den Vierbeinern. Ein verblüffendes Ergebnis seiner Forschung ist, dass es den großen Unterschied zwischen modernen Hunden und ihrer wilden Stammform nicht gibt, sondern eher "ein Mosaik kleiner Unterschiede, die letztlich wichtig sind". Dazu zählt auch das Verhältnis zu uns Menschen. Kotrschal ist davon überzeugt, dass Hunde die besten Kumpantiere sind, die wir uns wünschen können.

Kotrschal Wolfsforschungszentrum
Kurt Kotrschal arbeitet seit Jahrzehnten mit Wölfen und sieht in Hunden "die in jeder Hinsicht zu uns am besten passenden Kumpantiere".
Heribert Corn

STANDARD: Herr Kotrschal, was wissen wir über den Anfang der Beziehung von Menschen und Wölfen, der wir unsere heutigen Hunde verdanken?

Kotrschal: Es sieht ganz so aus, als wären unsere direkten Homo-sapiens-Vorfahren knapp nach der Einwanderung nach Eurasien vor etwa 42.000 bis 47.000 Jahren auf den Wolf gestoßen. Diese Leute waren Animisten, sie glaubten an die Beseeltheit der Natur, waren sehr symbolorientiert. Auf Basis von allem, was wir heute über animistische Jäger- und Sammlergesellschaften wissen, kann man annehmen, dass ihnen bald aufgefallen ist: Da draußen gibt es ein Tier, das uns in der sozialen Organisation und der Jagdstrategie unglaublich ähnlich ist. Und da lag es ziemlich nahe, den Wolf als Totemtier zu verwenden. Das heißt, es war bei der Domestikation des Wolfes in Richtung Hund wahrscheinlich so, dass die ersten Ereignisse spirituell motiviert waren.

STANDARD: Einer verbreiteten Hypothese zufolge könnten sich Wölfe quasi selbst gezähmt haben, weil sie bemerkt haben: In der Nähe von Menschen lebt es sich gut, da gibt es viel zu holen. Halten Sie das für plausibel?

Kotrschal: Nein. Heute sind sich alle, die Hands-on-Erfahrungen mit Wölfen haben, einig, dass es so nicht gewesen sein kann. Eine gewisse Gewöhnung an die Nähe des Menschen ist sicher passiert, Wölfe waren damals wohl auch weniger scheu als heute. Aber was dabei sicher nicht herauskam, ist, dass Wölfe Menschen als soziale Partner respektierten. Es ist nicht möglich, mit habituierten Wölfen wirklich gut zu kooperieren, und es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass diese Wölfe die Kinder dieser Leute respektiert hätten. Wenn die frühen Wölfe die Kinder unserer Vorfahren gefressen hätten, hätten wir mit absoluter Sicherheit keine Hunde. Es muss also ein Verhältnis auf Augenhöhe gewesen sein.

Wölfe, Wolfswelpe
Nur Wölfe, die schon als Welpen unter Menschen aufgewachsen sind, kooperieren mit Zweibeinern auf Augenhöhe.
IMAGO/SuperStock

STANDARD: Wie kann man sich denn ein Verhältnis auf Augenhöhe zwischen Menschen und Wölfen vorstellen?

Kotrschal: Es muss respektvoll und kooperativ gewesen sein, von Beginn an. Wir können heute aufgrund unseres Wissens über die soziale Organisation von Jägern und Sammlern und auch des Wesens der Wölfe ziemlich sicher sagen, dass es kein Dominanzverhältnis gewesen sein kann. Mit Wölfen kann man hervorragend kooperieren, wenn man sie respektvoll behandelt – und wenn man sie nicht herumkommandiert. Das Spannende ist ja, dass mit Wolf und Mensch zwei Wesen zusammengefunden haben, die sozial ausgesprochen ähnlich ticken: Sie kooperieren innerhalb ihrer Familiengruppen sehr gut miteinander, nahezu aggressionsfrei. Nach außen ist das anders, gegenüber anderen Gruppen herrscht mitunter hohe Aggressivität.

STANDARD: Wann und wie verlief dann der Übergang vom Wolf zum Hund?

Kotrschal: Aus unseren Experimenten am Wolfsforschungszentrum Ernstbrunn wissen wir, dass nur Wölfe, die schon als Welpen mit Menschen aufwachsen, mit uns wirklich gut kooperieren. Über wenige Generationen gibt es, wie wir heute wissen, nebenbei eine Selektion auf Zahmheit. Das geht einher mit bestimmten genetischen Veränderungen, die letztlich die Hundwerdung gestartet haben. Belegen kann man ein frühes Szenario durch Funde von Hundeüberresten, zum Beispiel gibt es einen Schädel aus Goyet in Belgien und einen aus dem Altai-Gebirge. Beide wurden auf ein Alter von etwa 37.000 Jahren datiert. Das heißt, zu dieser Zeit gab es schon Hunde. Jahrtausendelang waren Wölfe und Hunde die Gefährten der Jäger und Sammler, da wurde aber noch nicht bewusst selektiert auf bestimmte Eigenschaften. Das begann erst vor etwa 12.000 Jahren mit der Sesshaftwerdung und Hierarchisierung der menschlichen Gesellschaften.

Dass sich Hunde an Menschen orientieren bedeutet nicht, dass sie nicht auch ihren eigenen Willen haben.
privat

STANDARD: Mit Sesshaftigkeit und Landwirtschaft begann ein völlig neues Kapitel für die Menschheit. Welche Folgen hatte das für die Hunde?

Kotrschal: Es brachte einen völlig neuen Selektionshintergrund. Denken Sie an dauerhafte Siedlungen, organisierte Heere, Viehzucht: Es gab nahezu keinen Bereich des menschlichen Lebens, wo Hunde nicht in der einen oder anderen Form wichtig gewesen wären. Und es sieht so aus, als hätte jede Gesellschaft ihre eigenen Hunde. Heute gibt es etwa 600 verschiedene Hunderassen auf der Welt, viele davon sind Schönheits- und Eitelkeitszuchten, aber Menschen sind schon lange Hundenarren. Die alten Griechen zum Beispiel hatten kleine Hunde fürs Herz, langbeinige Hunde für die Jagd, massive Hunde für den Krieg. Menschen leben seit Jahrtausenden mit Hunden, deren Leistung sie brauchen und die sie auch lieben. Die Anpassung der Hunde an uns Menschen ist übrigens nicht abgeschlossen. Man könnte auf die Idee kommen, dass mit dem Hund ein Wesen irgendwo zwischen Wolf und Mensch entstanden ist.

STANDARD: Für viele Menschen, die mit Hunden leben, sind die Tiere heute vor allem soziale Gefährten und Familienmitglieder. Vermenschlichen wir unsere Vierbeiner manchmal zu sehr?

Kotrschal: Hunde sind für ein Leben mit uns gebaut. Heute sind sie oft wichtige soziale Unterstützer ihrer Leute und auch Projektionsflächen für alles Mögliche. Vieles halten sie aus, aber man kann es auch übertreiben. Ob das Tier jetzt wirklich Haute-Couture-Kleidung braucht? Dem Hund ist es wahrscheinlich egal, solange die Beziehung zu den Menschen gut ist. Ob der Hund so gefüttert werden muss, bis er fett ist wie eine Walze, ist schon mehr die Frage. Hunde haben spezielle Bedürfnisse, auf die man als Mensch nicht vergessen darf. Aber grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass die sozialen Bedürfnisse, die man Hunden mit menschlicher Empathie unterstellt, tatsächlich jene Bedürfnisse sind, die Hunde haben, weil wir ein sozial unglaublich ähnliches Gehirn haben. Natürlich gibt es immer Leute, die Mensch-Hund-Beziehungen befremden, aber ich würde sogar sagen: Ein Mensch ohne Hund ist nicht ganz vollständig.

STANDARD: Denken Sie, Hunde sehen das auch so?

Kotrschal: Ich habe keine Ahnung, was Hunde in uns sehen, aber für sie sind wir schon etwas sehr Besonderes. Sie sind uns im Vergleich zu Wölfen viel zugewandter, legen viel mehr Wert darauf, mit uns zu leben. Das ist auch einer der kleinen, aber wichtigen Unterschiede zwischen Wölfen und Hunden, die wir durch die Experimente am Wolfsforschungszentrum relativ klar zeigen können: Mit Wölfen kann man gut auf Augenhöhe kooperieren, die übernehmen aber dann gern die Führung. Hunde hingegen sind im Wesentlichen dann glücklich, wenn sie in einer guten Führungspartnerschaft leben, ein Leben in guter Beziehung zu Menschen gehört zu ihrem Glück.

Für Hunde sind Beziehungen zu Menschen besonders wichtig, sagt Verhaltensforscher Kotrschal.
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STANDARD: Menschen sind für Hunde also wichtiger als andere Hunde?

Kotrschal: Hunde sind an ein Leben mit uns Menschen besser angepasst als an ein Leben unter ihresgleichen. Die gute Beziehung zum Menschen zählt mehr als die zu einem anderen Hund. Das heißt nicht, dass ein Zweithund schlecht ist: Wenn es gutgeht, haben die viel Spaß und funktionieren gut zusammen. Vor drei und mehr Hunden sei aber ein bisschen gewarnt, da fängt der Wahnsinn an – da muss man schauen, wie man als Mensch noch mitkommt. (David Rennert, 24.4.2024)