Die israelische Kandidatin Eden Golan bei einer Probe ihres Songs "Hurricane". Die Konflikte in Gaza und der Ukraine werfen einen politischen Schatten auf den ESC.
Corinne Cumming, EBU

Bereits im Sommer 2023, kurz nach dem Song-Contest-Sieg Loreens, zeichnete sich Malmö als Austragungsstätte für 2024 ab. Alle anderen Arenen Schwedens waren entweder ausgebucht oder im Umbau. Malmö gilt allerdings als Stadt der Bandenkriminalität und hat eine große palästinensische Community. Zudem gibt es in der schwedischen Großstadt viele linke Gruppierungen, die besonders dann, wenn es gegen Israel geht, lautstark demonstrieren.

Jüdisches Leben in Malmö

"Gegen Russlands Angriffskrieg oder Assads Kriegsgräuel in Syrien haben diese Gruppierungen nicht demonstriert", sagt Fredrik Sieradzki, Sprecher der Jüdischen Gemeinde in Malmö, der allerdings den Krieg Israels gegen den Terror der Hamas nicht weiter kommentieren möchte, denn ihm geht es vor allem um die Gemeindemitglieder in Malmö. "Wir haben hier ein aktives jüdisches Leben, und wir versuchen immer mittels Dialog Positives zu bewirken." Er betont, dass eine der besten Journalistinnen Südschwedens zu diesem Thema selbst palästinensische Wurzeln hat.

"Es wäre für uns besser gewesen, der Song Contest würde nicht hier stattfinden", sagt Sieradzki. Er fürchtet Übergriffe gegen Juden und Jüdinnen bei Demonstrationen gegen die israelische Teilnahme. Vor allem aber sorgt er sich um Fans, die aus Israel mit Fahnen anreisen werden. "Wir empfehlen seit dem 7. Oktober 2023 unseren Gemeindemitgliedern, ohne jüdische Symbole auf die Straße zu gehen."

Für den israelischen Song-Contest-Experten und Buchautor Alon Amir ist Malmö der schlechtestmögliche Austragungsort. Amir, selbst früher Mitglied der israelischen Delegation, kritisiert die EBU, den europäischen Dachverband der öffentlich-rechtlichen Sender, scharf: "Es ist unverantwortlich. Malmö ist keine sichere Stadt", sagt er.

Kritik an der Teilnahme Israels und den ESC auf Plakaten in Malmö
Kritik an der Teilnahme Israels und den ESC auf Plakaten in Malmö.
M. Schreuder

Israels Fast-Ausschluss

Dabei stand Israels Teilnahme tatsächlich auf der Kippe. Als der öffentlich-rechtliche Sender KAN verlautbarte, dass die 20-jährige Sängerin Eden Golan Israel mit October Rain vertreten soll, lehnte die EBU den Song ab. Er beinhalte zu viele politische Anspielungen auf den Hamas-Angriff vom 7. Oktober, lautete die Begründung. Der Sender kündigte an, nicht willens zu sein, Änderungen vorzunehmen. Staatspräsident Yitzhak Herzog musste sich einschalten. Aber auch der zweite Song wurde abgelehnt. Der nunmehrige Beitrag Hurricane konnte nicht mehr zurückgewiesen werden.

Es folgten Morddrohungen gegen Eden Golan und die israelische Delegation. Diese sitzt in Malmö nun im Hotel fest und meidet den Großteil der Veranstaltungen. Zum zweiten Semifinale am 9. Mai sind in Malmö Großdemonstrationen gegen Israel geplant. Außerhalb des Stadtzentrums hängen viele Plakate, die den Ausschluss Israels vom ESC fordern. Von Völkermord ist darauf zu lesen und dass entweder Israel oder Malmö vom Song Contest zurücktreten solle.

Die in Israel geborene und in Luxemburg lebende Sängerin Tali, die eigentlich die Rückkehr Luxemburgs feiern soll, war ebenfalls Ziel von Feindseligkeiten. Auf X gab es den Vorwurf einer angeblich "zionistischen Agenda", weil man bei einer Party hinter ihr einen sechszackigen Stern sehen konnte.

Russische Hackerangriffe

Der ukrainische Beitrag Teresa i Maria gilt als einer der Favoriten für den diesjährigen Sieg. Rapperin alyona alyona und Sängerin Jerry Heil besingen die titelgebenden katholischen Heiligen und beschwören damit die weibliche Kraft in schwierigen Zeiten. Ein Sieg der Ukraine würde wieder politisch verstanden werden, auch wenn der Song hervorragend geschrieben und inszeniert ist.

Eurovision Song Contest

Für Russland und russlandnahe Kreise gilt der Eurovision Song Contest spätestens seit Conchitas Sieg als typisch westliches Produkt der Dekadenz. 2022 wurde der russische Sender dann aus dem Senderdachverband EBU ausgeschlossen. In demselben Jahr gab es beim ESC in Turin erstmals russische Hackerangriffe auf das Votingsystem, die jedoch abgewehrt wurden. Die italienische Polizei startete Untersuchungen, zu Verhaftungen führte dies nicht. 2023 wurden neuerlich Befürchtungen über einen Cyberangriff laut, öffentlich bestätigt wurde das allerdings nicht.

Das Voting wird von der Firma once.net durchgeführt. Auf Anfrage, ob die Sicherheit gewährleistet werden könne, verweist diese auf die EBU. Und diese sagt, was sie sagen muss: Alle notwendigen Maßnahmen für ein faires und sicheres Voting wurden getroffen. Keine weiteren Details.

"Neutrale" Favoriten?

Angesichts der vielen politischen Konflikte gewinnt vielleicht gerade deshalb ein neutrales Land im nicht mehr neutralen Schweden. Der Schweizer Act Nemo besingt in The Code das Coming-out als nonbinäre Person in einer dreiminütigen Pop-Oper und gilt als Favorit. Ebenfalls Kroatiens Baby Lasagna, der von Migration und dem Verlassen seines Bauernhofs rockt. Italiens Angelina Mango ist mit einer feministischen Latin-Nummer im Rennen, und der Niederländer Joost Klein besingt ein grenzenloses Europa. Das mit dem "unpolitischen" Song Contest war immer schon ein schwieriges Thema. (Marco Schreuder, 4.5.2024)